Briefe des Dragoners Kohlermann aus Polen | Galizien und der Ukraine
2014 jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum hundertsten Mal. Aus
diesem Anlass hat die Staatsbibliothek zu Berlin ein Projekt zur Schaffung eines
digitalen Gedächtnisses für den Ersten Weltkrieg eingeleitet. Dieses Projekt soll
die Lebenswirklichkeit dieser Zeit darstellen.
Ein glücklicher Umstand fügte es, dass meinen Geschwistern und mir 2005
bei der Auflösung des Haushalts meiner Mutter eine kleine schwarze Schatulle
auffiel, die zu unserer Überraschung mehrere Bündel fein säuberlich
verschnürter Feldpostbriefe und Feldpostkarten enthielt, die mein Vater während
seines Einsatzes in Weißrussland und in Galizien von 1915 bis Februar
1919 seinen Pflegeeltern nach Frankfurt am Main geschrieben hatte. Alle Briefe
waren in gestochen klarer Sütterlin-Schrift geschrieben. Trotz ihres Alters und
des Umstandes, dass sie oft unter schwierigen Umständen entstanden sind, sind
sie größtenteils noch gut zu lesen. Dies brachte meine Frau Rita und mich auf den
Gedanken, diese Briefe aus der Sütterlinschrift zu übertragen und sie für unsere
Familie, für Geschwister und Freunde, aber auch für das Projekt «Europeana» zur Verfügung zu stellen.
Das Besondere dieser Briefe ist, dass sie in regelmäßiger zeitlicher Folge und
aus der Sicht des zu Pferde, im Schützengraben und später am Maschinengewehr kämpfenden
Soldaten Ereignisse an der Front in Galizien, im heutigen Polen, der Ukraine
und Weißrussland schildern, die mein Vater als Dragoner, Infanterist und später
Unteroffizier einer Maschinengewehrmannschaft erlebt hat. Ganz davon abgesehen,
dass sie Zeugnis ablegen vom erstaunlich gut funktionierenden Dienst
der Feldpost schildern sie auch offen, in welchem Verhältnis die Soldaten zu
ihren Offizieren und zu der vom Krieg betroffenen Landbevölkerung standen.
Schon früh durch einen Schlaganfall behindert, hat mein Vater meinen drei
Geschwistern Beatrix Munde, Christl Schumacher, Margarete Kohlermann und
mir nie ein Wort über seine Erlebnisse während des Ersten Weltkrieges erzählt.
Um so mehr interessierte es mich, mehr über meinen Vater zu erfahren und
dabei eine mir unbekannte Seite seiner Persönlichkeit zu entdecken.
Mein Vater hat sich 1915 wie auch mehrere seiner Schulkameraden freiwillig
zum Kriegsdienst gemeldet. Nach Ablegung eines Notabiturs sind sie in die
Ausbildungsstätte für Kavalleristen des Großherzogtums Hessen in Darmstadt
eingetreten. Nach einer harten Ausbildung während vier Monaten ist mein Vater
im September 1915 an die Front in Litauen versetzt worden.
Zu meiner Überraschung hat mein Vater, wenn es irgend möglich war, drei- bis
viermal pro Woche per Feldpostkarte oder Feldpostbrief ein Lebenszeichen
nach Hause geschickt. Diese Briefe waren häufig nur eine Woche unterwegs.
Sie beschreiben den Alltag der jungen Soldaten, die Sorgen, die Beobachtungen
im Dienst und die Erlebnisse in einem Stellungskrieg, der im harten russischen
Winter schwere Anforderungen stellte. So schwierig die Umstände des Einsatzes
waren, ist es für mich überraschend gewesen, zu vernehmen, dass in diesem
Krieg gegenüber der Landbevölkerung keineswegs nur rücksichtslos vorgegangen
worden zu sein scheint.
Vielleicht wollte mein Vater seine Pflegeeltern nicht ängstigen, er hatte schon
mit fünf Jahren beide Eltern verloren, darum beschränkt er sich in der Regel auf die
Schilderung seiner Eindrücke und täglichen Probleme. Es entsteht ein Bild vom
Leben an der Front ohne den Prickel von Sensationen, aber aus der Sicht der
Pflichterfüllung des Soldaten und der Verantwortung gegenüber Kameraden,
der Bevölkerung und dem Pferd, das als unentbehrlicher Partner in den ersten
Jahren dieses Krieges noch eine wichtige Rolle spielt.
Ich danke meiner Frau Rita für ihren Ansporn während der Zusammenstellung
dieses Berichts. Ferner danke ich herzlich Martin Hofstetter für seine große
Unterstützung und seine vielen guten Ratschläge bei der Gestaltung des Drucks
und der Herausgabe der Briefe meines Vaters.
Diese Niederschrift der Briefe meines Vaters widme ich meiner verstorbenen
Mutter Ulrike Kohlermann, geb. v. Plawenn-Salvini, und meinen Kindern
Franziska und Felix, die ihren allzu früh verstorbenen Großvater Hermann
Kohlermann nicht kennenlernen konnten.
Hansjürg Kohlermann, Basel am 24. April 2012
Die Karriere von Hermann Kohlermann wurde offensichtlich von seinen Erlebnissen und Erfahrungen während seines Kriegsdienstes an der Ostfront des Ersten Weltkrieges beeinflusst. Einer seiner Klassenkameraden, Prof. Dr. Eckard Rehbinder, schrieb nach der Lektüre des Buches Briefe des Dragoners...., er hätte sofort an seinen Großvater denken müssen, der ihm seinerzeit ähnliche Erfahrungen berichtet habe. Darum hätte er es für interessant gehalten, wenn im Buch Briefe des Dragoners.. eine kurze Schilderung des weiteren Lebensweges von Hermann Kohlermann angeboten worden wäre. Dies kann durch folgenden Text nachgeholt werden:
Vermutlich war das Erlebnis des perfekten Funktionierens der Eisenbahnen in den osteuropäischen Staaten während des Ersten Weltkrieges wie auch Hermann Kohlermanns Kennntnis der russischen Sprache und der Mentalität der Bevölkerung in diesen Staaten dafür ausschlaggebend, dass ihm nach dem Studium der Volkswirtschaft und seiner Promotion zum Dr. rer. pol. an der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität in Frankfurt am Main, in der Dresdner Bank die Geschäftsführung zweier in den osteuropäischen Ländern aktiver Tochterbanken anvertraut wurde. Es handelt sich um die Eisenbahn Bank und die Eisenbahn Rentenbank, Frankfurt am Main, die in den osteuropäischen Ländern in Bahnen angelegte Gelder des Pensionsfonds der Deutschen Reichsbahn verwaltet haben. Im Zusammenhang mit dieser Aktivität hat Hermann Kohlermann in den Dreißiger-Jahren Einsitz in den Aufsichtsrat der Memeler Kleinbahn AG, Memel nehmen können.
Buch-Cover der publizierten Briefe des Dragoners Hermann Kohlermann aus Polen, Galizien und der Ukraine
Book
CONTRIBUTOR
Hansjürg Kohlermann
DATE
-
LANGUAGE
deu
ITEMS
288
INSTITUTION
Europeana 1914-1918
PROGRESS
METADATA
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